Wann und wie wird der Öffentliche Dienst barrierefrei?

Diskussionsveranstaltung der Grünen Landtagsfraktion am 26.09.22 an der Hochschule für den Öffentlichen Dienst in Bayern in Hof

2023 werde Bayern barrierefrei sein, hatte Ex-Ministerpräsident Seehofer vollmundig angekündigt. Die Wirklichkeit ist weit davon entfernt, stellte die GRÜNE Landtagsfraktion auf ihrer Tour „No limits!“ zur Barrierefreiheit in Bayern unter Federführung von Kerstin Celina, Sprecherin für Soziales, Inklusion und psychische Gesundheit fest. Egal, ob in Kunst, Kultur und öffentlichem Leben, im Hochschulstudium oder auch im öffentlichen Dienst – überall stoßen Menschen mit Behinderung auf massive Hindernisse für gleichberechtigte Teilhabe. Und dies, obwohl die Digitalisierung vielversprechende Perspektiven auf gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderung eröffnet. Aber: Barrierefreiheit, gesellschaftliche Teilhabe, Inklusion kostet Geld! Aber das Geld für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist gut investiert.

Gesellschaftliche Teilhabe und Barrierefreiheit  braucht Investitionen

Wie kann Bayern Vorreiter für Barrierefreiheit im öffentlichen Dienst werden? Welche besonderen Bedürfnisse haben Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben? Wo liegen die Pflichten der Arbeitgeber:innen? Über diese Fragen wurde mit Kerstin Celina, MdL, Elmar Hayn, Sprecher für Fragen des Öffentlichen Dienstes, und Anna Schwamberger, MdL, schulpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Fragen des öffentlichen Dienstes, in Hof diskutiert. 

In Bayern stagniert die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung im öffentlichen Dienst bei etwas über 5% und erfüllt damit das gesetzliche Mindestmaß, aber auch nicht mehr. Für die Inklusion von Menschen mit Behinderung in den öffentlichen Dienst ist dieses Ergebnis nicht zufriedenstellend. Auch unter den Arbeitssuchenden befinden sich mehr Schwerbehinderte als Menschen ohne Behinderung. Im Vergleich mit anderen Bundesländern wie Hessen, mit ca. 7% Beschäftigungsquote, zeichnet sich für Bayern erheblicher Nachholbedarf ab.  Eines der größten Hindernisse dürfte dabei das Vorurteil sein, Menschen mit Behinderung seien weniger leistungsfähig als Menschen ohne Behinderung.

Potentiale für Inklusion werden nicht genutzt

Aus den Erfahrungsberichten der Teilnehmer*innen wurde schnell deutlich, dass die Inklusion bzw. das Zurechtkommen von Menschen mit Behinderung im öffentlichen Dienst bzw. im Arbeitsleben immer noch vom persönlichen Engagement einzelner Kolleg*innen abhängt. Es mangelt hier definitiv an behinderungs- bzw. inklusionsfreundlichen Strukturen. „Nicht der Mensch muss zum Arbeitsplatz passen, sondern der Arbeitsplatz muss so gestaltet werden, dass ihn auch Menschen mit Behinderung sinnvoll ausfüllen können“, so Kerstin Celina. Die Digitalisierung bietet hier eine Vielfalt an Möglichkeiten, allein sie werden nicht genutzt. Die räumliche Ausstattung am Arbeitsplatz ist eine wichtige Grundvoraussetzung: Parkplätze, Rampen, Teppichböden für bessere Akustik sind nur einige Beispiele. Neubauten sollten von Beginn an barrierefrei gedacht werden.

Stefan Memmel vom IT-Service Center der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) machte auf den eklatanten Fachkräftemangel aufmerksam. Dies müsste doch auch eine Chance für Menschen mit Behinderung bedeuten, aber es bestehen immer noch zu viele Hürden. Die Arbeitswelt hat die Potenziale von Menschen mit Behinderung noch nicht erkannt.

Psychische Erkrankungen schaffen Barrieren

Ein besonderes Problem stellen die zunehmenden psychischen Erkrankungen von Dienstanwärter*innen und Angestellten dar.  Aus Angst vor Stigmatisierung und Nachteilen in der beruflichen Laufbahn werden psychische Erkrankungen an Hochschulen und am Arbeitsplatz häufig verschwiegen. Bereits im Studium scheuen sich beispielsweise Lehramtsstudierende mit psychischen Erkrankungen vor einem Termin bei Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen – aus Angst, die Diagnose könnte ein Hindernis auf dem Weg zur Verbeamtung sein. „Es ist gang und gäbe, dass sich Menschen vom Hausarzt ein Attest für Abwesenheit ausstellen lassen statt von ihrem Psychotherapeuten, auch wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt“, so Kerstin Celina. Zudem gelten solche Erkrankungen nicht als Behinderung, weshalb die Behindertenvertretungen nicht der richtige Ansprechpartner sind. Die Einrichtung niedrigschwelliger psychosozialer Beratungsstellen an den Hochschulen und im öffentlichen Dienst könnten hier Abhilfe schaffen.

Auch den Schuldienst für Menschen mit Behinderung öffnen

„Es ist längst überfällig, Menschen mit Behinderung für das Lehramt an Schulen auszubilden und als Lehrkräfte einzustellen“, so Anna Schwamberger, schulpolitische Sprecherin der GRÜNEN im Bayerischen Landtag. „Dies trägt zur Inklusion bei, hätte Vorbildfunktion für die Schüler*innen und würde dem eklatanten Lehrer*innenmangel entgegenwirken. Menschen mit Behinderung sind im Schuldienst immer noch massiv unterrepräsentiert.“ Dies – ebenso wie generell eine Laufbahn im gehobenen oder höheren öffentlichen Dienst – setze natürlich voraus, dass Schüler*innen mit Behinderung auch an den Fachoberschulen oder Gymnasien vertreten seien – ebenfalls ein großes Manko. Inklusion am Gymnasium werde vor allem durch die entsprechende digitale Ausstattung in den Schulen ermöglicht, so ein Vertreter des Elternbeirats des Schiller-Gymnasiums Hof. Daran hapere es an allen Ecken und Enden.

Ein Vertreter der Lebenshilfe machte darauf aufmerksam, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung so gut wie gar keine Chancen auf eine Zukunft im öffentlichen Dienst haben. „Die Arbeit in den Werkstätten ist demütigend und ohne Perspektive. Inklusion, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedeutet in erster Linie Teilhabe am Arbeitsleben. Hier ist auch der öffentliche Dienst gefordert – auch wenn es sich um Nischenberufe oder niedrigschwellige Beschäftigungsangebote für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung handelt.“

Grüner „Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetzes und des Bayerischen E-Government-Gesetzes“

Bayern wird auch nach 2023 noch voll dieser beschriebenen Barrieren sein – aber das muss nicht so bleiben. Klare gesetzliche Vorgaben und Investitionen können an zahlreihen Stellen schnell Abhilfe leisten. Dazu hat die Grüne Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der bei den Schwachstellen und Regelungslücken im Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetz (BayBGG) und im Bayerischen E-Government-Gesetz (BayEGovG) ansetzt. Im Moment befindet sich der Gesetzentwurf im Ausschussberatungsprozess. Für Kerstin Celina ist klar: „Barrierefreiheit ist die Grundvoraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Die Unverbindlichkeit der Gesetze und Regelungen in Bayern macht Barrierefreiheit aber zur Ausnahme statt zur Regel und führt zum schleppenden Fortschritt bei der Umsetzung der Barrierefreiheit. Wir fordern, Barrierefreiheit für öffentliche Stellen und Behörden des Freistaats und der Gemeinden verbindlich zu verankern.“ Dafür müsste beispielsweise die bisherige Exit-Option, von Barrierefreiheit aus finanziellen, wirtschaftlichen oder verwaltungsorganisatorischen Gründen abzusehen, gestrichen, weitere vorhandene Regelungslücken geschlossen und verbindliche Vorgaben für Barrierefreiheit in Bayern geschaffen werden.

Diskussionsrunde in der Hochschule für den Öffentlichen Dienst in Hof mit den Abgeordneten Elmar Hayn, Anna Schwamberger, Kerstin Celina (v.l. stehend) Fotograf: Rudi Ott