Integration Asylsuchender von Anfang an

Knapp dreißig Vertreter von Behörden, Verbänden, Schulen, Wirtschaft und ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe Engagierte berieten mit den GRÜNEN Landtagsabgeordneten Christine Kamm und Kerstin Celina über die berufliche Integration von Asylsuchenden, die für deren gesellschaftliche Integration essentiell ist.

Die Flüchtlinge seien hochmotiviert und auf dem Arbeitsmarkt gefragt, Voraussetzung für eine Arbeitsaufnahme seien aber nicht nur ausreichende Deutschkenntnisse, sondern auch der Aufenthaltsstatus. Inzwischen sei eine Vielzahl an unterstützenden Instrumenten zwar verfügbar und in Modellprojekten erprobt. Für „Geduldete“ ist die Teilnahme an solchen Projekten jedoch nur möglich, wenn die Ausländerbehörden zustimmen. Auch ein Studium komme wird für die meisten dadurch erschwert, dass sie keinen Zugang zu Bafög haben. „Die Hängepartie für Flüchtlinge dauert oft viele Jahre, und solange sind sie zur Untätigkeit gezwungen“, so MdL Kerstin Celina, „wir verschenken hier die Möglichkeit, motivierte Menschen in Arbeit zu bringen, die die Betriebe dringend brauchen“. Die Forderung der GRÜNEN, während einer dreijährigen Ausbildung und einer zweijährigen Arbeitsphase danach nicht abzuschieben, wurde von den anwesenden Praktikern und Verbandsvertretern geteilt, denn nur so könne Planungssicherheit für die Betriebe gewährt werden. „Ich habe bei einem einwöchigen Praktikum gute Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht und würde sie gerne in ein Ausbildungsverhältnis übernehmen. Aber wie soll das denn gehen, wenn sie permanent von der Abschiebung bedroht sind?“ fragte ein teilnehmender Betriebsleiter. Außerdem wurde kritisiert, dass Flüchtlinge oft keinen Führerschein machen dürfen, wenn die Flüchtlinge Zweifel der Ausländerbehörden an ihrer Identität nicht ausräumen können, auch das würde das Zustandekommen von Ausbildungsverhältnissen unnötigerweise erschweren.

Nach einer Umfrage der IHK seien heute 43% der Betriebe in Unterfranken bereit, Asylsuchende auszubilden. Allerdings fehle weiterhin ein klares Signal der Landesregierung im Paradigma der Migrationspolitik hin zur Integration von Anfang an. Als konkrete Maßnahme bräuchten Betriebe heute deutlich mehr Begleitung bei der Betreuung der Asylsuchenden, wozu auch staatliche Ressourcen gefragt wären, so die Meinung der Anwesenden.

Nach der häufig traumatisierenden und langen Flucht benötigten die Asylsuchenden aber auch einige Zeit zum Ankommen. An der Franz-Oberthür-Schule in Würzburg wird den Schülern der BAF-Klassen nicht nur die deutsche Sprache vermittelt, sondern auch eine Richtschnur gegeben für das Leben in der Gesellschaft, Sitten und Gebräuche erläutert. Bei einem Besuch vor dem Fachgespräch konnten sich die beiden Landtagsabgeordneten selbst davon überzeugen.

Was den schulischen und beruflichen Erfolg angehe, seien Prüfungen, die weniger sprachlastig seien, sinnvoll, und zwar nicht nur für Flüchtlinge: „Wer das Wort „Traufe“ nicht verstehe, oder die unterschiedlichen Fragewörter nicht ausnahmslos beherrsche (wozu, warum, weshalb, wo, wohin, worum, usw) scheitere in der Prüfung zum Dachdecker, könne aber trotzdem gute Arbeit leisten“, so MdL Celina. Dem stehen aber die zentral festgelegten Prüfungsordnungen gegenüber. „Hier Veränderungen zu bekommen, sei es durch mehr individuelle Förderung oder indem Hilfsmittel bei den Prüfungen zugelassen werden, wäre auch ein Weg hin zu mehr Inklusion, denn nicht nur Flüchtlinge scheitern an solchen Sprachproblemen“.

Auch die Anerkennung von Abschlüssen und Berufserfahrung (z.B. durch die kaum verbreitete Erprobung) sei entscheidend für eine schnelle und sinnvolle Integration in Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Diese, so Celina, seien jedoch oft mit für Migranten sehr hohen Kosten verbunden, so dass die Chance kaum genutzt werde. Hier forderte die Landtagsabgeordnete ein niederschwelliges und kostengünstiges Angebot, um bestehende Kompetenzen der zugezogenen Bürger besser nutzen zu können.

Viele Teilnehmer berichteten von einer zum Teil erheblichen Diskrepanz zwischen den Ausländerbehörden der verschiedenen Kommunen und Landkreise, beispielsweise was die Genehmigung von Praktika betrifft, oder was die Förderung nach dem 25. Geburtstag angeht. Mal werden die Jugendlichen weiter als Jugendliche betreut, anderswo fallen sie sofort aus Jugendhilfemaßnahmen heraus. Landtagsabgeordnete MdL Christine Kamm betonte, dass der Ermessungsspielraum zu Gunsten der Asylsuchenden ausgelegt werden müsse, doch leider von Ausländerbehörde zu Ausländerbehörde in ganz sehr unterschiedliche Interpretationen der gesetzlichen Ermessungsspielräume bekannt seien. Problematisch sei auch die Situation der über 25jährigen Flüchtlinge, für die derzeit noch keine Maßnahmen zur beruflichen Integration vorgesehen sind.

Auch die Wohnungssituation der Flüchtlinge wurde kritisiert: In der Gemeinschaftsunterkunft sei Lernen oft ein Problem, da es keine Rückzugsräume gebe und bei vier Bewohnern in einem Zimmer weder Tag- noch Nachtruhe gefunden werden könne. MdL Kamm berichtete von einem Wohnprojekt, das sie zu Beginn der 90er in Augsburg initiiert hatte. Dort wurden 34 Wohnungen für Flüchtlinge geschaffen, die bis heute mit einer Kaltmiete von 6,50 € vermietet werden und schwarze Zahlen schreiben. „Wenn ich das ehrenamtlich mit Gleichgesinnten organisieren kann, dann ist das auch woanders möglich!“, motivierte Kamm. Mehr Mittel für den Bau günstigen Wohnraums, die mit dem ÖPNV erreichbar sind, seien dringend notwendig.

Celina prognostizierte weiterhin hohe Flüchtlingszahlen. Auch werden mehr und mehr Klimaflüchtlinge den Weg nach Europa wagen müssen, Lösungen dafür stehen jedoch aus.

Kamm und Celina dankten allen Teilnehmern für den offenen und sehr praxisnahen Austausch und betonten noch einmal die Wichtigkeit eines Paradigmenwechsels der Asylpolitik hin zur Integration von Anfang an.

Kerstin Celina und Christine Kamm bei Bodo Ziegler.
Kerstin Celina und Christine Kamm bei Bodo Ziegler.
Kerstin Celina und Christine Kamm mit Ayfer Fuchs und Hamun Tanin.
Kerstin Celina und Christine Kamm mit Ayfer Fuchs und Hamun Tanin.

Landtagsabgeordnete Christine Kamm und Kerstin Celina (GRÜNE) führen Fachgespräch zum Thema „Ausbildung und Arbeit für Flüchtlinge in Unterfranken“