Pressemitteilung: (Un)Behindert in Kürnach

GRÜNE stellen Barrierefreiheit in den Vordergrund 

“Barrierefreiheit in Kürnach ist teilweise umgesetzt, aber es bleibt noch viel zu verbessern. Wer ein Handicap bzw. eine Behinderung hat, dem wird es in dieser Gemeinde an verschiedenen Orten nicht leicht gemacht” war die Quintessenz der GRÜNEN bei ihrer Veranstaltung “(Un)Behindert leben in Kürnach”. Vier Gemeinderatskandidaten und -kandidatinnen erläuterten dabei nacheinander unterschiedliche Aspekte des Lebens mit einer Behinderung in Kürnach. Mit dabei war auch die stellvertretende Behindertenbeauftragte des Bezirks Christina Feiler, die Erfahrungen aus ihrer Heimatgemeinde Veitshöchheim in die Diskussion mit einbringen konnte.

Barrierefreiheit konkret im Ort

Ulrich Krammel stellte zunächst gesetzliche Rahmenbedingungen vor, die Behinderten als auch nicht Behinderten bekannt sein sollten, um mitentscheiden und mitgestalten zu können. Er zeigte anschließend anhand einiger Fotos von Kürnach markante Beispiele für gut oder eben nicht gut gelungene örtliche Maßnahmen zur Barrierefreiheit. So lassen sich beispielsweise die Türen der Behindertentoiletten im Ort von einer Person mit Handicap nur schwer oder ohne Hilfe gar nicht öffnen. Behindertenparkplätze seien vorhanden, so Krammel, allerdings seien zwei von ihnen schlecht beschildert und es fehlten auf allen dreien im Altort deutliche Markierungen am Boden. Daher käme es immer wieder vor, dass ortsunkundige Autofahrer ihr Fahrzeug auf diesen Sonderparkplätzen abstellten. „Die Behindertenparkplätze erfüllen zwar die gesetzlich vorgeschriebene Breite und Länge, einer davon ist aber neben einer Wand plaziert. Er stellt somit für den aussteigenden Betroffenen mit einer Gebehinderung oder gar Rollstuhlfahrer, ein unüberwindliches Hindernis dar“ sagte er. Egal ob Behindertentoiletten, Behindertenparkplätze, oder das fehlende zweite Treppengeländer – Ulrich Krammel zählte viele Beispiele vor Ort auf, an denen entweder Regelungen nicht eingehalten wurden oder durch nachträgliche Veränderungen die barrierefreie Zugänglichkeit erschwert ist. Es sind häufig Hindernisse, die von einem Nicht-Betroffenen kaum wahrgenommen werden. Einfache und kostengünstige Eingriffe wären hierbei meistens mehr als hilfreich, so Krammel. Deshalb sollten zukünftig bei jeder neuen Planung, egal ob Häuser oder Wege in der Gemeinde die ortsansässigen Behindertenvertretungen einbezogen werden.

Inklusion an Schulen braucht die richtigen Rahmenbedingungen 

Lea Nachtigall referierte kenntnisreich über Inklusion an Schulen. “Ich erlebe sehr viel Engagement bei der gesamten Kürnacher Schulfamilie, bei LehrerInnen, Personal der Mittagsbetreuung und bei der Schulleitung: alle bemühen sich, Kindern mit und ohne Behinderung ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen. Wir müssen für passende Rahmenbedingungen sorgen, eine gute Personalausstattung in der Mittagsbetreuung und Rückzugsräume, für Kinder, die zwischendurch mal Ruhe brauchen.

 

Inklusion darf mit dem Ende der Schule nicht aufhören

Mit Laura Kellner kam eine intensive Debatte über gemeinsames Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung in Gang: “Es geht hier nicht darum, Menschen irgendwie zu beschäftigen, sondern es geht darum, dass wir einander auf Augenhöhe begegnen und voneinander lernen – und zwar in beide Richtungen” stellte sie fest und schilderte ihre Erfahrungen auf einem integrativen Bauernhof in der Region. “Inklusion darf mit dem Ende der Schule nicht aufhören” sagte sie unter Beifall der ZuhörerInnen, “das Thema betrifft uns alle, deshalb ist es besonders wichtig, sich gegenseitig offen und hilfsbereit zu begegnen, sodass jeder gleichberechtigt und möglichst frei an der Gemeinschaft teilhaben kann.”

 

Fast eine halbe Million Widersprüche gegen Schwerbehindertenausweis-Bescheide

Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin der GRÜNEN im Bayerischen Landtag, brachte als weiteres Thema in die Debatte die Schwierigkeiten bei der Beantragung von Schwerbehindertenausweisen ein. “Das Thema sorgt für viel Frust auf allen Seiten” erklärte sie. “Im Zeitraum 2009 bis 2018 wurden in Bayern 480.624 Widersprüche gegen Bescheide des ZBFS nach der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises eingelegt und 57.753 Klagen eingereicht, knapp die Hälfte davon endete mit einem Teilerfolg in Form eines Vergleichs, und in mehr als 2300 Fälle bekamen die Kläger vor Gericht in vollem Umfang Recht. Das zeigt, wie viele Menschen sich in dem Ergebnis der Prüfung, ob und welcher Schwerbehindertenausweis ihnen zusteht, nicht wiederfinden. Letztlich gehe es fast immer darum, so Celina, eine Anerkennung der Merkmale zu bekommen, die zur Benutzung von Behindertenparkplätzen berechtigen und um die Übernahme von Fahrtkosten. Die jetzigen Regelungen spiegeln einfach nicht die aktuellen Gegebenheiten wider: wer z.B. kurzatmig ist, kann zwar mit seinen Beinen theoretisch noch laufen, schafft es aber faktisch nicht mehr und bräuchte die gleiche Einstufung und Berechtigungen wie ein Mensch nach einer Beinamputation. Die geltenden Regeln geben das aber nicht her, und deswegen fühlt sich die rechtskonforme Einstufung einfach falsch an für die Betroffenen. Die gesetzlichen Regelungen müssen dringend angepasst werden” forderte Celina. Zustimmung aus dem Publikum zeigte, dass sie ein aktuelles Problem angesprochen hatte, das viele aus eigener Erfahrung kannten. Auch die schwerbehinderte Petra Krammel, die ebenfalls für den Gemeinderat auf einer anderen Liste kandidiert, brachte ihre umfangreichen eigenen Erfahrungen und Vorschläge ein, ebenso wie interessierte TeilnehmerInnen und die stellvertretende Behindertenbeauftragte des Bezirks Unterfranken, Christina Feiler, die von einer “rundherum gelungenen Veranstaltung” sprach.

Von links nach rechts: Laura Kelner, Lea Nachtigall, Petra Krammel, Christina Feiler, Kerstin Celina, Ulrich Krammel, Sebastian Huber.
Von links nach rechts: Laura Kelner, Lea Nachtigall, Petra Krammel, Christina Feiler, Kerstin Celina, Ulrich Krammel, Sebastian Huber.