Rede zum Maßregelvollzugsgesetz

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,

Gustl Mollath, Roland Steigerwald.

Zwei Namen, die die Republik kennt.

Zwei Namen von Menschen, die im Maßregelvollzug in Bayern als psychisch kranke Straftäter verurteilt und untergebracht wurden.

Zwei Namen und zwei unterschiedliche Geschichten,auf die ich heute und hier nicht näher eingehen möchte, obwohl ihre Geschichten generell immer wieder erzählt werden sollten, um etwas mehr Licht in den Maßregelvollzug zu bringen.

Denn eines ist beiden gemeinsam: sie haben die Tür zum Maßregelvollzug ein Stückchen weit aufgemacht, sie haben den Menschen in Bayern und ganz Deutschland gezeigt, dass es mitten in Bayern eine Welt gibt, die verschlossen ist, und in die wir bisher keinen Einblick hatten, eine Welt, in der kranke Straftäter untergebracht werden.

Die bayerische Staatsregierung hat nun – endlich – den Mut gehabt, einen Entwurf für ein bayerisches Maßregelvollzugsgesetz vorzulegen.

Ein Gesetz, das nicht nur wir GRÜNE, sondern vor allem auch diejenigen, die wissenschaftliche und berufspraktische Kenntnisse haben, schon seit Jahren gefordert haben, um – endlich -verfassungskonforme und für alle Beteiligten nachvollziehbaren Rechtsgrundlagen für den Maßregelvollzug zu bekommen.

Frau Staatsministerin Müller nannte den Gesetzesentwurf in der ersten Lesung im Plenum Ende Januar „einen modernen und für die anderen Länder richtungsweisenden Entwurf“, dessen Hauptanliegen, die „Resozialisierung straffällig gewordener, psychisch kranker oder suchtkranker Menschen“ sei, die untergebrachten Personen sollen „geheilt und wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden“. Sie, Herr Unterländer, haben das in der Debatte im Sozialausschuss ebenfalls so bestätigt.

Aber ein Gesetz, das die Kranken nicht einmal als „krank“ bezeichnet, ist sicher nicht so modern und richtungsweisend, wie Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CSU, uns hier weismachen wollen.

Faktisch werden in diesem Gesetz nur die allernotwendigsten Regelungen getroffen, nach wie vor steht der ordnungspolitische Aspekt im Vordergrund und nach wie vor werden Themen nicht angegangen, die schon längst hätten angegangen werden sollen – es fehlen ausreichende Vorschriften zu

– individuellen Therapieangeboten,

– zur Qualitätssicherung,

– zu unabhängigen Beschwerdestellen,

– zu unangemeldeten Besuchkommissionen, um externe Kontrolle der Abläufe im Maßregelvollzug zu schaffen und nicht zuletzt

– zur Finanzierung forensischer Ambulanzen.

Sie sind mit diesem Gesetzesentwurf nicht richtungsweisend, sondern hinken hinterher, und ich hätte mir mehr Mut von Ihrer Fraktion gewünscht, auch diese von mir gerade genannten Themenfelder anzugehen. Mut, auch Änderungsvorschläge der Oppositionsfraktionen offen zu diskutieren und zumindest teilweise zu übernehmen.

Liebe Kollegen, Sie wissen doch inzwischen ebensogut wie wir, wo die Mängel der bisherigen Regelung sind:

Es fehlen klare Regelungen, bis wann ein Behandlungsplan aufgestellt werden muss: Roland Steigerwald ist seit über 20 Jahren in der Psychiatrie, hat aber erst seit 2014 einen Behandlungsplan, das heißt, seit gerade einmal einem Jahr. Wie will man denn heilen, wenn man keinen Plan hat, zumindest keinen Behandlungsplan?

Glauben Sie als Mitglieder der Regierungsfraktion, die diesem Gesetzesentwurf heute so einstimmig zustimmen wird, dass sie die gezielte Heilung und Resozialisierung der Patienten optimal unterstützen können, wenn Sie hier nach wie vor Regelungen für mehr Transparenz blockieren? Transparenz z.B. durch Melderegister, unabhängige Beschwerdestellen und unangemeldete Besuchkommissionen, wie ich sie gerade genannt habe.

Wieso sperren Sie sich denn so vehement dagegen, ein Melderegister für Zwangsmaßnahmen einzuführen? Ein Melderegister für Zwangsmaßnahmen tut niemandem weh, Zwangsmaßnahmen aber verursachen Schmerzen!

Wir wollen, dass mit einem Register für Zwangsmaßnahmen einfach nur klar wird, warum in einigen Einrichtungen keine oder nur wenige, und in anderen Einrichtungen mehr Zwangsmaßnahmen gemacht werden. Liegt es am Personalstand, liegt es an besseren Deeskalationsmaßnahmen, welche positiven Beispiele können Schule machen? Um Dinge zu verändern, muss man wissen, wie die Fakten sind, und hier wollen Sie die Fakten gar nicht erst wissen, sondern verharren in alten Denkmustern.

Die Presse hat inzwischen wiederholt von Fällen berichtet, in denen Menschen tagelang fixiert wurde. Wollen Sie sich denn ernsthaft von zufälligen Presserecherchen weiter zum Handeln treiben lassen, lassen, statt aufgrund eigener Erkenntnisse und Datenerhebung zu agieren? Und ich versichere Ihnen auch, wenn Sie nicht für mehr Transparenz in den Maßregelvollzugseinrichtungen sorgen werden, sei es durch die von uns geforderten Melderegister für Zwangsmaßnahmen, unangemeldete Kontrollen, Beschwerdestellen usw. werden wir in den nächsten Jahren weitere Fälle erleben wie Gustl Mollath haben und weitere Untersuchungsausschüsse wie „Modellbau“. Denn erst das Verstecken und Verschweigen macht Skandale wie diese möglich.

Die Sicherheit der Allgemeinheit ist am besten durch Heilung zu erreichen, da sind wir uns einig. Aber dazu gehört auch ein Rechtsanspruch auf Vollzugslockerung, auf Pflegen der Außenkontakte und Vorbereitung auf eine Entlassung, die nicht nur bei Gustl Mollath, sondern auch bei vielen anderen, nicht funktioniert hat.

Wir reden hier davon, Menschen zu resozialisieren, die eben nicht in ein weiches Netz sozialer Kontakte fallen, sondern die sich oft schon vor ihrer Einlieferung in den Maßregelvollzug aufgrund ihrer psychischen Erkrankung von der Gesellschaft um sie herum entfernt hatten. Und genau deshalb muss Ihnen überall in Bayern ein gleich hoher Standard bei der Hilfe nach einer Entlassung zuteil werden.

Und genau deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag gefordert, forensische Ambulanzen unabhängig von der Haushaltsentwicklung künftiger Jahre sicherzustellen, denn gute forensische Nachsorge ist unumstritten eine wesentliche Voraussetzung für die Eingliederung in die Gesellschaft und zur Minimierung der Rückfallquote und darf nicht davon abhängig sein, wo und wann der Mensch in Bayern entlassen wird.

Zur Klarstellung, weil mir dieser Punkt besonders wichtig ist: Wir haben in Bayern zwar forensische Ambulanzen, die übrigens nicht nur die entlassenen Straftäter betreuen, sondern auch die, deren Strafe von vorneherein zur Bewährung ausgesetzt ist. Sie sind alle guten Willens, aber mit Personal und finanziellen Ressourcen aber sehr unterschiedlich ausgestattet, ohne sicher zu wissen, ob sie auch in Zukunft weiter auf diese Ausstattung zurückgreifen können.

Ähnliches gilt für die individuelle Therapie: Es geht eben nicht nur um reine Unterbringung, es geht um Therapie und Heilung. In der Onkologie reden wir immer mehr von individuellen Therapien, weil wir erkennen, dass die Menschen aufgrund ihrer genetischen Disposition unterschiedlich auf Medikamente und Behandlungsmethoden reagieren. In der Bildung wird dem individualisierten Unterricht immer mehr Raum gegeben, weil er erfolgreicher ist.

Und um den Behandlungserfolg bei psychisch erkrankten Menschen zu erhöhen, gehört deshalb außer einem verstärkten Mitspracherecht, was die Form der Therapie angeht, auch das Umfeld, die Umsetzung der Grundrechte der Patienten, die Gewährung von Besuchen und Kontakten und die Art, wie diese Kontakte nach außen gewährt werden.

Um den Behandlungserfolg zu erhöhen, braucht es auch Beschäftigung, und zwar adäquate Arbeitstherapie.

Das wissen wir nicht erst seit der Aussage von Roland Steigerwald vor dem Untersuchungsausschuss vorletzte Woche, für den das zwanzigjährige Kleben von Tüten unvorstellbar gewesen wäre. Ob eine adäquate Arbeitstherapie zu einer tatsächlichen Entlassung beitragen kann, ist gar nicht so wichtig, alleine schon, wenn sie dazu beiträgt, den Patienten in der Maßregelvollzugsanstalt einzugliedern, sein Arbeitstag zu strukturieren, seine Konzentrationsfähigkeit zu trainieren, trägt zur Sicherheit in der Maßregelvollzugsanstalt bei. Zur Sicherheit des Personals, zur Sicherheit der anderen untergebrachten Personen. Die Patientinnen und Patienten, die aber arbeiten, sollte für ihre Arbeit angemessenes Entgelt erhalten.

Sie, Herr Unterländer, haben aber im Sozialausschuss argumentiert, es sei die Frage, ob es in jeder Maßregelvollzugseinrichtung notwendig sei, Beschäftigungen vorzuhalten. Außerdem sei das faktisch häufig nicht möglich, und die CSU lehne die Forderung deshalb ab.

Aber das stimmt nicht, aus den Gründen, die ich genannt habe, ist das Anbieten von Beschäftigungen in jeder Maßregelvollzugseinrichtung notwendig, und wenn es Ihrer Meinung nach faktisch nicht möglich sei, dann machen Sie es gefälligst möglich!

 

Nun kurz zu Ihren Änderungsvorschlägen:

Wir stimmen den Änderungsvorschlägen der SPD und der FW zu.

Zu den Änderungsvorschlägen der CSU-Fraktion ist zu sagen: Punkt 1 und 2 fanden wir gut, Punkt 3 und 4 lehnen wir ab, denn wir wollen gerade so gravierende Entscheidungen, wie Anordnung von Disziplinarmaßnahmen oder Zwangsmaßnahmen, so hoch wie möglich halten, und deswegen sollte sie immer der Leiter unterschreiben und anordnen. Die Möglichkeit eines Arztes handeln zu können, z.B. bei akuten Krisensituationen, bleibt trotzdem bestehen.

Liebe Kollegen, ich habe Ihnen einige Punkte hier genannt, wo der vorliegende Gesetzesentwurf verbessert werden könnte. Dass das alles heute und hier nicht aufgenommen werden wird, ist Fakt, aber vielleicht denken Sie ja spätestens bei der nächsten Pressegeschichte aus dem Maßregelvollzug noch einmal über unsere Anregungen nach. Unsere Tür bleibt offen für einen weiteren Dialog, um es hier mit den Worten der Kanzlerin, die es, wie Sie wissen, in einem anderen Zusammenhang diese Woche verwendet hat, zu sagen.