Wahlprüfsteine zur Landtagswahl: Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Bei der weit verbreiteten Zunahme psychischer Störungen und behandlungsbedürftiger Erkrankungen muss auch die Politik in ihren verschiedenen Bereichen dies mehr als bisher zum Thema machen: psychische Erkrankungen und die erwünschten Behandlungsformen sind aus dem gesellschaftlichen Tabubereich zu holen und offener als bisher zu diskutieren und durch Planung und Steuerung weiterzuentwickeln!

Vor diesem Hintergrund fragte mich Dr. Heinrich Berger von der Bayerischen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.  nach meinen Positionen. Diese können Sie im Folgenden als Wahlprüfsteine nachlesen:

  • Frage: Wie wollen Sie dieser gesellschaftlichen Entwicklung der Zunahme psychischer Störungen künftig begegnen?
    Antwort: Der Zunahme der psychischen Erkrankungen kann durch zum einen durch Prävention und Sensibilisierung der Bevölkerung entgegengewirkt werden. Präventionsmaßnahmen beinhalten das frühzeitige Erkennen von Erkrankungssymptomen bei sich selbst als auch bei anderen und die Förderung der Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, v.a. durch Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Stress und Leistungsdruck, sei es im schulischen, beruflichen oder privaten Leben erhöhen die Wahrscheinlichkeit für bestimmte psychische Erkrankungen. Wir halten es für wichtig, vermehrt mit Arbeitgeber*innen zu sprechen, damit sie einen optimalen Weg finden mit ihren Arbeitnehmer*innen Vereinbarungen zu treffen, wie sie im Fall einer Erkrankung oder eines beginnenden neuen Erkrankungsschubs miteinander umgehen wollen, so dass sich Arbeitsnehmer*innen nicht scheuen, Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Wichtig dafür sind Fortbildungsmaßnahmen für Führungskräfte und Programme zum Stressabbau am Arbeitsplatz/Schule. Bei psychischen Erkrankungen leidet das Umfeld in besonderem Maße mit, eine Prognose, wann der Erkrankte wieder „voll einsatzfähig“ ist, ist schwierig, ebenso ist auch der Prozeß, die Krankheit zu überwinden, sehr individuell. Manchen hilft eine Behandlung und ein Verbleib im gewohnten Umfeld, aber unter reduzierter Belastung, für andere ist es besser, sich ganz herauszunehmen aus dem Alltag. Um die Zunahme psychischer Erkrankungen zu reduzieren, ist es enorm wichtig, auch den sogenannten „Drehtüreffekt“ zu reduzieren und Wiedererkrankungen durch individuelle Behandlungsmöglichkeiten zu reduzieren. Die Ausstattung mit einer ausreichenden Anzahl an Therapeut*innen sowie die Bereitstellung von „Trialog“ Foren, in denen Betroffene, Angehörige und Therapeuten gemeinsam miteinander Lösungen suchen können, die Stärkung von Selbsthilfegruppen sind elementar wichtig, um dem Anstieg von psychischen Erkrankungen zu begegnen.
  • Frage: Welche konkreten Vorhaben wollen Sie künftig im Landtag vorantreiben?
    Antwort:

    • flächendeckender Ausbau des Krisendienstes
    • Unterbringung nur als allerletztes Mittel der Krisenintervention
    • Klinik-Entlassmanagement für alle Patient*innen, um eine ambulante Begleitung in Übergängen sicherzustellen
    • Vorsorgende, begleitende und nachgehende Hilfen für ein selbstbestimmtes Leben
    • Bessere Verzahnung von ambulanten und (teil)stationären Angeboten.
    • Krisenbetten vorhalten.
    • Ausbauen von Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Krankheiten.
    • Sicherstellung von Patientenwillen und Patientenrechten.
    • Humanere Gestaltung der Unterbringung: Recht auf Kontakt nach außen;
    • regelmäßiger Aufenthalt im Freien sowie Beschränkung von Disziplinarmaßnahmen.
    • Abschluss und Inhalt von Behandlungsvereinbarungen.
  • Frage: Wie wollen Sie die Umsetzung des angesprochenen BayPsychKHGs begleiten, damit der Hilfeaspekt mehr noch in den Vordergrund gerückt wird, weil bei vielen betroffenen Menschen und ihren Familien nach wie vor große Skepsis bezüglich des ordnungspolitischen Charakters besteht?
    Antwort: Es war dringend notwendig, das sicherheitsrechtlich orientierte Unterbringungsgesetz von 1992 zu ersetzten und ein modernes PsychKHG für Bayern zu schaffen. Das im Juli 2018 verabschiedete PsychKHG entspricht aber nur zum Teil den Anforderungen eines entstigmatisierenden und modernen Gesetzes.

    • Der erste Teil des Gesetzes bedarf nach wie vor einer Erweiterung, denn der in der Präambel proklamierte Hilfecharakter des Gesetzes findet keine rechtliche Entsprechung. Entscheidend ist, dass die Unterbringung als Krisenintervention auf einen kürzest möglichen Zeitraum begrenzt ist und klare und umfassende Patientenrechte und Hilfeangebote im Gesetz gesichert, sowie Stärkung und insbesondere finanzielle Förderung der Selbsthilfe festgeschrieben werden. Wir begrüßen den Ausbau der der Krisendienste (Art. 1), aber es fehlt eine gesetzliche Absicherung der Sozialpsychiatrischen Dienste mit entsprechender Personalausstattung sowie die Regelungen zur Planung und Koordinierung der Hilfen.
    • Das Kriterium des Allgemeinwohls als eine Voraussetzung der Unterbringung unterstreicht weiterhin die ordnungsrechtliche Orientierung des Gesetzes (Art.5). Das   lehnen wir ab.
    • (Art. 11 und 12) Wir wollen eine psychiatrisch kompetente Unterstützung der einweisenden Institutionen durch den Krisendienst schaffen. Deshalb fordern wir, dass die Polizei oder die Kreisverwaltungsbehörde vor einer sofortigen vorläufigen Unterbringung den Krisendienst oder zumindest einen Arzt für Psychiatrie hinzuziehen soll.
    • (Art. 33) Das anonymisierte Melderegister war einer unserer Kernforderungen. Im PsychKHG wird festgelegt, dass Unterbringungen, Zwangsbehandlungen und Zwangsfixierungen erfasst und der Fachaufsichtsbehörde jährlich gemeldet werden. Das begrüßen wir und werden darauf hinwirken, dass das zuständige Staatsministerium jährlich über die Entwicklung der psychosozialen und psychiatrischen Versorgung sowie der meldepflichtigen Zwangsmaßnahmen Bericht erstattet. Dies soll einhergehen mit einer Expertenanhörung, bei der auch Stellungnahmen der Landesverbände der Betroffenen und Angehörigen berücksichtigt werden.
    • (Art. 37) Die Besuchskommissionen sollen unangemeldet und zumindest jährlich stattfinden, nicht wie jetzt vorgesehen alle zwei Jahre. Zudem sollte in den Einrichtungen eine ausreichende Zahl von Patientenfürsprechern vorgesehen werden, die von den Betroffenen jederzeit und unbürokratisch erreicht werden können. Dazu fordern wir unabhängige Beschwerdestellen, um die Qualität der Einrichtungen zu verbessern.
  • Frage: Welche Ziele und Leitgedanken wären noch zu den oben genannten zu ergänzen?
    Antwort: Als weiterer Leitgedanke: Freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) auch für die Patient*innen gewährleisten, sowie konkret abgeleitet von der Menschenwürde: Zwangsbehandlungen auf das absolute Minimum beschränken!
  • Frage: Was werden Sie konkret zur Fortschreibung der Bayerischen Psychiatrieplanung („Grundsätze“) unternehmen?
    Antwort: Die psychiatrische Versorgung in Bayern hat sich im Allgemeinen seit 2007 nur sehr langsam und nur in wenigen Bereichen dem wissenschaftlichen Fortschritt entsprechend weiterentwickelt. Der konkrete Bedarf der Patientinnen und Patienten wird häufig nicht berücksichtigt. Der „Zweite Bayerische Landesplan zur Versorgung psychisch Kranker und psychisch Behinderter“ aus dem Jahr 1990 sowie die „Grundsätze zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Bayern“ aus dem Jahr 2006 („Psychiatriegrundsätze“) sind die maßgeblichen Versuche, die Situation der Menschen mit einer psychischen Erkrankung zu verbessern. Eine entsprechende Aktualisierung fehlt. Sie ist dringend notwendig. Wir wollen einen Bericht der Staatsregierung zu Fortschritten bei der Umsetzung und Fortschreibung der „Grundsätze“ im Rahmen der Psychiatrieberichterstattung und die verbindliche Umsetzung und Fortschreibung der „Grundsätze zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Bayern“ und Klärung der beinhalteten Finanzierungsfragen.
  • Frage: Welche psychiatriepolitischen Themen befinden sich bereits in Ihren Wahlprogrammen?
    Antwort:

    • Finanzierung der Kliniken: Nach geltendem Recht ist ab dem Jahr 2017 die Anwendung des neuen Entgeltsystems für alle psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen verpflichtend. Wir fordern, dass bei der Weiterentwicklung des Pauschalierenden Entgeltsystems Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) ein besonderes Augenmerk auf die sektorenübergreifende Finanzierung Wert gelegt wird, d.h. dass die Finanzierung ambulanter und stationärer Angebote miteinander verzahnt werden muss, damit die Patient*innen lückenlos versorgt werden können ohne die Gefahr, sich zwischen unklaren Zuständigkeiten aufzureiben. Ebenfalls fordern wir, dass die Notfall-Versorgung von Patient*innen, d.h. die Aufnahme von Patient*innen rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche, Niederschlag in der Finanzierung der PEPPs findet, da die Vorhaltekosten ungleich höher sind als bei psychiatrischen Krankenhäusern, die diese Versorgung nicht anbieten. Für qualifizierte Genesungsbegleiter*innen (Ex-In) fordern wir die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.
    • Allgemeinpsychiatrie: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben sich immer für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz eingesetzt. Doch der jetzt von der Staatsregierung vorgelegte Gesetzesentwurf hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, denn nicht die Hilfe für psychisch kranke Menschen steht im Mittelpunkt, sondern kranke Menschen werden wie Straftäter behandelt. Unsere Forderungen für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz: Finanzierung von (zusätzlichen) mobilen Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe über die Bezirke, zwingende Zusammenarbeit von Krisendienst und Polizei bei bevorstehender Zwangseinweisung, Klinik-Entlassmanagement für alle Patient*innen, ambulante Begleitung in Übergängen sicherstellen, keine Unterbringungsdatei, in der personenbezogene Daten gespeichert werden.
    • Kinder-/Jugendpsychiatrie: 40% der jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren entwickeln eine behandlungsbedürftige psychiatrische Erkrankung. Dafür müssen die Angebote im klinischen, aber auch außerklinischen Bereich ausgebaut werden. Für die Betreuung von Kindern psychisch kranker Eltern muss ebenfalls ein eigenes Angebot entwickelt werden.
    • Geflüchtete: Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in Deutschland Asyl beantragen, haben aufgrund ihres Fluchthintergrunds und ihrer Flucht selbst Traumata erlitten. Zu den Folgen gehören Einnässen, Stottern, Essensverweigerung und Angstzustände sowie posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), die eine entsprechende Behandlung erfordern. Um diese Versorgung sicherzustellen fordern wir: Bereitstellung verständlicher und korrekter Informationen, bundeseinheitliche Auslegung des Anspruchs auf medizinische und psychotherapeutische Versorgung sowie Dolmetscherleistungen für Leistungsberechtigte gemäß §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz, Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerber*innen mit klar definiertem Leistungsspektrum, Sicherstellung des Zugangs zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, Aufbau von und finanzielle Sicherheit für Psychosoziale Zentren, Verankerung der Übernahme von Dolmetscherkosten im Sozialgesetz.
    • Psychiatrie im Strafvollzug: Durch den ‚Fall Mollath‘ gab es Veränderungen in der Strafgesetzgebung für die Psychiatrie. So wurde beispielsweise der § 63 StGB durch einen Zusatz ergänzt, dass die Unterbringung in der Forensik in einer Verhältnismäßigkeit zur Straftat zu stehen hat.
    • Frühzeitiges Handeln bei psychischen Erkrankungen: Der rasante Anstieg psychischer Erkrankungen hat verschiedene Ursachen, wie die Zunahme belastender Faktoren. Zudem werden durch eine bessere und frühzeitige Diagnostik immer mehr psychische Erkrankungen erfasst. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nach wie vor Vorurteilen ausgesetzt. Wir setzen uns ein für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, für ihr frühzeitiges Erkennen durch Aufklärung, niederschwellige Beratungsangebote und Fortbildung sowie für ausreichende flächendeckende Behandlungsmöglichkeiten und rund um die Uhr erreichbare Krisendienste. Wir ermöglichen eine flexible und schnelle Behandlung, ambulant und stationär. Wir wollen die selbstständige Rechts- und Handlungsfähigkeit der Patient*innen erhalten. Wir verbessern die Nachsorge und schaffen mehr Rehabilitationsplätze für psychisch Kranke und für suchtkranke Menschen. Mit modernen Versorgungsstrukturen für eine patientenorientierte, selbstbestimmte und transparente Psychiatrie verhindern wir die Stigmatisierung der Patient*innen.
    • Flächendeckende Krisendienste fr Menschen in psychischen Notlagen: Wir wollen, dass den Betroffenen und deren Angehörigen und Freunden rasch, wohnortnah und unbürokratisch geholfen wird, damit aus einer Krise keine Krankheit wird. Deswegen bauen wir Krisendienste für psychische Notlagen aus, an die sich Menschen wenden können, wenn sie selbst, ihre Familienmitglieder oder Menschen aus ihrem Umfeld in eine Krisensituation rutschen. Wir wollen helfen, Krisen zu bewältigen, mit Beratung, Fachkenntnissen und therapeutischen Angeboten. So bieten wir allen, die in eine solche Situation geraten, frühzeitig effektive Hilfe an. Ein Drittel der Bevölkerung durchlebt im Laufe des Lebens mindestens einmal eine seelische Krise aufgrund von Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Psychosen oder Demenz.
  • Frage: Wie werden Sie sich angesichts des eklatanten Arbeitskräftemangels dafür einsetzen, dass mehr psychisch kranke und behinderte Menschen durch neue, geeignete Konzepte einen für ihre jeweiligen Potentiale passenden Arbeitsplatz finden können?
    Antwort: Zunächst muss versucht werden, die Arbeitnehmer*innen an ihrem Arbeitsplatz zu halten. Dazu dienen bessere Begleitungsangebote bei den Arbeitgebern, durch Kliniken, Beratungsstellen usw. Sollte es nicht möglich sein, am ersten Arbeitsmarkt zu bleiben, fordern wir

    • Weiterentwicklung von Arbeitsplätzen außerhalb von Werkstätten, die Schutz und Sicherheit bieten
    • Weiterentwicklung der Werkstätten
    • Maßnahmen für Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen die den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen
    • Die Erweiterung des Budgets für Arbeit
  • Frage: Welche Aktionen planen bzw. unterstützen Sie künftig für den Internationalen Aktionstag für psychische Gesundheit, da wir in München die Erfahrung gemacht haben, dass dieser bislang weitgehend ohne die politischen Parteien geplant und durchgeführt wird?
    Antwort:  Kerstin Celina beteiligt sich dieses Jahr an der Veranstaltung des Münchener Aktionsbündnis für seelische Gesundheit am World Mental Health Day am 10.10.2018 in München. Das Thema wird in unseren Fraktionen im Landtag sowie insbesondere in den Bezirkstagen weiterhin viel Beachtung finden. Die Perspektive der Betroffenen, der Patienten und der Angehörigen in die politischen Strukturen einzubringen, ist ein zentrales Anliegen.